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Pfingsten

Pfingsten: Perspektive Herrlichkeit

Dieses Buches neigt sich dem Ende zu. Wie wir jetzt bereits wissen ist das Ende einer Sache immer automatisch der Anfang einer neuen Geschichte. Leben eben. Was hat das aber mit Pfingsten zu tun? Weiß doch die Mehrzahl der Deutschen mit der Bedeutung dieser zwei Feier-Tage fast gar nichts anzufangen, wie eine repräsentative Umfrage vor nicht allzu langer Zeit feststellen musste. Woran mag das liegen?

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Für Christen bedeutet Pfingsten das Fest zur Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes in Jerusalem 50 Tage nach Ostern. Ist das ein Geburtstag-Fest, wie Weihnachten und Ostern? Ja, wenn man dieses Ereignis als Geburts-Stunde der Gemeinde Jesu oder der Kirche ansieht. Das wäre der Anfang einer neuen Zeit, einer neuen Epoche, eben der Gemeinde Jesu Christi.

 

Ist die Geburtsstunde der Kirche die einzige Bedeutung von Pfingsten? In Israel heißt das Fest Schavuot, Wochenfest. Das zweite große Erntefest des Frühjahrs nach dem Passah-Fest, auch Pesach genannt, das Fest der Erstlingsfrüchte (unser Ostern). Für Pesach/Ostern gibt es also eine absolut stimmige Verknüpfung mit Jesus: Der Erstgeborene der Toten entspricht den Erstlingsfrüchten. Und Pfingsten? Gibt es einen Zweitgeborenen? Na klar, das sind ja wir. Wir sind Pfingsten! Aber wir sind doch noch gar nicht in den Himmel hinein gestorben bzw. geboren wie unser Zwillingsbruder Jesus. Der hat sich „aus dem Staub gemacht“ und ist zum Vater hinauf abgehauen ohne uns kleinen Geschwister mitzunehmen. Vielleicht rührt daher die Namensverwirrung eines anderen Festes kurz vor Pfingsten, das heute mit Doppelnamen aufwarten kann: Christi Himmelfahrt für fromme Zeitgenossen, oder Vatertag für weniger fromme. Obwohl beide Begriffe das völlig gleiche aussagen, einmal vom Sohn her gesehen und das zweite Mal mit Zielangabe, Vater. Ob der Veranstaltungs-Ort und die Getränke-Wahl wirklich passend dem Feiertag sind, wird in der einen Fraktion noch heftig kommentiert. Die angeblich Ahnungslosen scheinen aber doch sowohl mit der Namens-Schöpfung als auch der Frei-Luft-Männer-Pilgerfahrt, der sich immer mehr Söhne anschließen, irgendwie ins Schwarze getroffen zu haben. Da sie der Getränke wegen  und der mitgeführten Getränke-Wagen häufig mit dem Zug anreisen, hat sich ein logistisches Desaster angekündigt, nicht für den irdischen Vatertag, sondern für den himmlischen, der seine sehr  langen Schatten schon fast 2000 Jahre seit dem ersten Pfingsten voraus wirft. Pünktlich ankommen wäre sehr wünschenswert bei der Mutter aller Feste, so die Gerüchteküche. Was das auf sich hat, müssen wir unbedingt beleuchten. Das schlangenförmige Verkehrsmittel auf eisernen Doppel-Strängen made in Germany hat sich dafür jedenfalls schon selbst disqualifiziert. Sorry, wir müssen umsteigen, besser aufsitzen.

 

Endstation Sehnsucht

 

Pfingsten: Als Erntefest  der Zweiten Früchte wird es zum Vor-Freu-Dich-Fest auf den Himmel (besser Vaterhaus). Wie die Adventszeit vor Weihnachten für kleine und große Kinder. Wir dürfen uns auf die zukünftige  Vermählung von Himmel und Erde freuen, und gleichzeitig auf die Geburt einer ganz neuen Welt. Wenn Jesus wiederkommt, um uns zum Vater abzuholen. Sozusagen zu einem universellen Bethlehem 3.0-Ereignis im Himmel.

 

Erwählung – 2.0

 

Ein Kapitel zum zweiten Mal. Probleme im Zusammenhang mit dem Stichwort Erwählung? Eine berechtigte Frage. Erwählung ist eines der allerwichtigsten Themen in der Religion, im Christentum und im Judentum nahezu deckungsgleich, aber im Islam wie ein Schwarz-Weiß-Negativ gespiegelt.  Allen Drei ist es Grundlage ihrer Identität. Wohlgemerkt, wir schreiben hier unter der Überschrift Erwählung 2.0. Teil Eins beschäftigte sich in der Hauptsache mit der Erwählung des Sohnes Gottes, Jesus, zum Erstgeborenen Sohn für alle Menschen, Jesus der Erstgeborene von den Toten. Und damit sind alle anderen Menschen ihm zeitlich hinterher. Erwählung 2.0 gilt nun also den normalen Erdenbürgern. Und das Problem dabei ist ganz allgemein ausgedrückt das „Problem der Fragmentierung“, um es wissenschaftlich zu formulieren. Des „Aufbrechens in Teile“ in einfachen Worten gesagt. Ist das Teilen ein Problem? Ganz beliebt ist heute, seine Zeit einzuteilen, vor allem in lange freie Zeiten. Man nennt das dann Work-life-balance. Oder man zerteilt wie Salomo ein Baby, damit beide Frauen, die behaupten die Mutter zu sein, zufrieden sind und das Baby endlich still wird an der beiden Mütter Brust.

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Wir wollen das Problem „Auswahl treffen“ jetzt nicht in epischer Breite durch-kauen, sondern begnügen uns mit einer langen Liste von Schlag-Wörtern: Aus-Wahl, Ordnung, Wett-Kampf, Tabellen und Listen, Zeit, Herr, Meister, Lehrer, Diener, Sklave, Star und Fan, König und Untertan, Vor-Bild, Sieger und Verlierer, Erste und Nicht-Erste, Beteiligte und Unbeteiligte, Suchende und Schlaftabletten, Vor-Reiter und Nach-Folger, Wahrheit und Irrtum, die Liste (selbst Bestand-Teil der Auf-Zählung) lässt sich bestimmt noch gewaltig verlängern. Es geht dabei allgemein gesprochen um die Etablierung einer Hierarchie.

Entzwei gebrochen und doch völlig ganz

Entzwei gebrochen und doch völlig ganz, unter dieser Einleitung steht dieses gesamte Buch. Wir haben schon eine ganze Reihe von Scherben dieses Spiegelbildes des Schöpfers in seiner Schöpfung wie die Teile eines Puzzles zusammengetragen. Es ist nicht Gott selbst der entzwei gebrochen wäre, sondern seine Schöpfung und seine Geschöpfe, die dem Dualitätsprinzip unterworfen sind, vom ersten Tag der Genesis an: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Leider zerteilen manche Gott und auch Jesus für eine gerettete und eine verworfene Menschheit, weil man die Erwählung völlig falsch versteht. Erwählt heißt beauftragt für einen besonderen Auftrag. Nicht-erwählt bedeutet in keinster Weise verworfen oder verloren zu sein, sondern dass derjenige in den Genuss dessen kommt, was der Erwählte für ihn getan hat. Am Beispiel Jakob und Esau wird das deutlich: Jakob wird als Stammvater Israels beauftragt, einmal den Messias in den Reihen seiner Nachkommen begrüßen zu dürfen. Esau dagegen, der nur eine Nebenrolle in der Brüdergeschichte spielt, noch dazu zeitweise keine besonders ruhmreiche, steht als Bild für den Messias selbst. Für dessen Rolle als Erstgeborener, der den Mutterschoß durchbricht, an dem sich Jakob, der Fersenhalter, festhält, um genauso ans Ziel zu kommen, ins Leben und in die Arme des Vaters. Der in jeder Hinsicht rote Faden der Bibel, die blutigen Tatsachen vom Brudermord, beginnend bei Kain und Abel, über die Geschehnisse von Golgatha bis hinein in die Offenbarung des Johannes, beschreibt das Leben auf dieser Erde in allen erdenklichen Facetten. Es war und ist jedoch der Mensch selbst, der Blutvergießen und Krieg verursacht hat. Es ist der himmlische Vater, der dem und uns eine neue Perspektive gibt, ja einen kompletten Paradigmen-Wechsel: Die Rolle des Gekreuzigten Christus und zur Veranschaulichung das Bild des Leibes und Blutes von Jesus, welche er für die Menschheit gegeben hat. Oder das noch bessere, weil „lebendige“ Bild des Mutterkuchens beim Geboren werden und das Gesamtbild von Schwangerschaft und Geburt, das uns verdeutlicht, dass wir aus diesem blutroten Schlamassel befreit werden. Das Bild der Geburt und des Geborenwerdens: Der Trennung zweier Personen, um sie danach wieder zusammen zu führen und darüber hinaus mit vielen anderen, einschließlich der wichtigsten Person, dem Vater. Nicht vergessen dürfen wir: Das „gebrochene“ Vaterherz, das wir im Bild des Gekreuzigten erkennen können, ist nicht zerbrochen, sondern völlig ganz. Es gilt allen Menschen gleich.

 

Kurzer Merksatz: Ordnen, selbst wenn es Sinn macht und nötig ist, kann ein Dilemma nach sich ziehen, denn es schafft in einem Atemzug eine Rangfolge. Chaos ist aber auch keine Lösung. Vor allem wenn es um Tohu wa Bohu geht wie im 1. Schöpfungsbericht in Genesis 1 (auf Deutsch wüst und leer, oder ist das ein Übersetzungsfehler?). Vor allem, wenn es sich nur um Zwei handelt. Und damit wollen wir die Zweier-Paare verlassen. Wir werden jetzt, zwar über round-about vier Jahrtausende Zeit-versetzt zusammen mit Jakob übermütig und pirschen uns wagemutig  bis zum Guten Dutzend vor.

Das gute Dutzend - Die Josefsgeschichte

Damit springen wir zurück zum Kern unserer derzeitigen Spurensuche, der Erwählung durch Gott. Und zum absoluten Lieblingssohn von Jakob. Doch bevor wir uns der Geschichte von Josef ausführlich widmen, müssen wir den Fuß-Abdruck der Geburt seines jüngeren, leiblichen Bruders, Benjamin hinein in die Familie Israel genauer unter die Lupe nehmen. Denn der zweite hinter Josef  war schon geboren, bei Bethlehem. Doch bei aller Freude über den Sprössling, es war eine unheilvolle Nacht, ganz und gar nicht wie man sich die Nacht von Bethlehem vorstellt. Es herrschte Toten-Stille. Stille, heilige Nacht 1.0. Aber sie spielt und spiegelt uns allen das Wiegen-Lied vom Tode!

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Sie brachen von Bet-El auf. Nur ein kleines Stück Weg war es noch bis Efrata, als Rahel gebar. Sie hatte eine schwere Geburt. Als sie bei der Geburt schwer litt, redete ihr die Amme zu: Fürchte dich nicht, auch diesmal hast du einen Sohn. Während ihr das Leben entfloh – sie musste nämlich sterben -gab sie ihm den Namen Ben-Oni (Unheilskind); sein Vater aber nannte ihn Benjamin (Erfolgskind). Als Rahel gestorben war, begrub man sie an der Straße nach Efrata, das jetzt Bethlehem heißt. Jakob errichtete ein Steinmal über ihrem Grab. Das ist das Grabmal Rahels bis auf den heutigen Tag.

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Eine Janus-köpfige Geburt, Benjamin trat ein schweres Erbe an. Er war sozusagen Jakobs Mischwesen-Sohn, der gemischte Gefühle in ihm auslöste. Konnte Jakob die Erinnerung an seinen übergroßen Verlust und Schmerz in der Nacht von Bethlehem von seinem jüngsten Sohn trennen? Wir wissen es nicht. Dagegen war Josef sein absoluter Lieblingssohn, der Erstgeborene von Jakobs Lieblingsfrau. Sie war die Liebe seines Lebens für die er sich für nichts zu schade war. Jakob war früher für sie zum Knecht geworden, ja zum Sklaven der Willkür seines Schicksals, das er nicht nur klaglos ertrug, denn: Jakob aber diente um Rahel sieben Jahre. Weil er sie liebte, kamen sie ihm wie wenige Tage vor (Genesis 29: 20). Und welche Hindernisse standen dem Zusammenleben und der Familiengründung im Weg! Erst die ungewollte, vom angeblich bösen Stiefvater mit Hinterlist arrangierte Ehe mittels Schleier-Taktik, Verhüllung, Bedeckung ihres Angesichtes in der Hochzeits-Nacht, die somit verdoppelt werden musste. Und später der hektische Wettlauf um das Kinderkriegen, in das auch, wie beim großvater Abraham, das weibliche Gesinde hineingezogen wurde, und das in doppelter Ausführung. Folge die berühmt-berüchtigte Patchwork-Familie des Jakob/Israel mit vier Frauen. Endlich, endlich nach langer Zeit vergeblichen Wartens, wurde dann Josef geboren. Er wurde für Jakob zum größten Glück seines Lebens, vor allem später nach dem Fortgang seiner über Alles geliebten Rahel. Dagegen trat Benjamin ein schweres Erbe an. Benjamin war sein Mischwesen-Sohn sozusagen, der gemischte Gefühle in ihm verursachte. Er liebte ihn von Herzen, doch wenn er ihn sah, ging ein Stich durch Jakobs Herz und er gedachte seiner persönlichen Nacht und seinen übergroßen Verlust in der Nacht von Bethlehem. Wie sehr wir ihn alle verstehen können.

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Das war also die Vorgeschichte zu der weltberühmten Josefs-Erzählung, der Thomas Mann eine ganze tausende Seiten umfassende Trilogie gewidmet hat. Da uns die Zeit drängt, wie wir alle nur zu gut wissen, ein kleiner Hinweis zum Verständnis des folgenden Textes aus Genesis 37: Die unglaubliche Dichte an Begriffen, welche die Problemzone „Rang-Ordnung/Hack-Ordnung“ beschreiben.

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Als Josef siebzehn Jahre zählte, also noch jung war, weidete er mit seinen Brüdern, den Söhnen Bilhas und Silpas, der Frauen seines Vaters, die Schafe und Ziegen. Josef hinterbrachte ihrem Vater, was die Brüder böses taten. Israel liebte Josef unter allen seinen Söhnen am meisten, weil er ihm noch in hohem Alter geboren worden war. Er ließ ihm einen Ärmelrock machen. Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr liebte als alle seine Brüder, hassten sie ihn und konnten mit ihm kein gutes Wort reden.

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Doch nicht nur das, obendrauf kam noch eine „Traumfabrik Oberstübchen“. Oder wie kommt man auf solche verrückte Träume, die Josef unter seinen Brüdern brühwarm erzählte?

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Einst hatte Josef einen Traum: Als er ihnen seinen Brüdern erzählte, hassten sie ihn noch mehr. Er sagte zu ihnen: Hört, was ich geträumt habe. Wir banden Garben mitten auf dem Feld. Meine Garbe richtete sich auf und blieb stehen. Eure Garben umringten sie und neigten sich tief vor meiner Garbe. Da sagten seine Brüder zu ihm: Willst Du etwa König über uns werden und dich als Herr über uns aufspielen? Und sie hassten ihn noch mehr wegen seiner Träume und seiner Worte.

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Er hatte noch einen anderen Traum. Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: Ich träumte noch einmal: Die Sonne, der Mond und elf Sterne verneigten sich tief vor mir. Als er davon seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater…

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Später schickt Jakob seinen Sohn Josef den Brüdern hinterher, als diese das Vieh bei Sichem weideten. Ein Mann traf ihn, wie er auf dem Feld umherirrte; er fragte ihn: Was suchst Du? Josef antwortete: Meine Brüder suche ich….Und auch der Unbekannte schickte ihn schon als zweite Autoritätsperson seinen Brüdern hinterher nach Dotan, wo er sie auch wirklich fand. Sie sahen ihn schon von weitem und fassten den Plan, ihn umzubringen. Ruben, der aller-erste Erstgeborene Jakobs war als Einziger dagegen. Vergießt kein Blut! Werft ihn in die Zisterne da in der Steppe, aber legt nicht Hand an ihn! Er wollte ihn nämlich aus ihrer Hand retten und zu seinem Vater zurückbringen.

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Bekanntlich ging der Plan Rubens nicht auf und seine Brüder waren schneller als er. Als Ruben abwesend war, konnte Juda seine Brüder noch dazu überreden, Josefs Leben zu verschonen. Mit folgenden Worten: Was haben wir davon, wenn wir unseren Bruder erschlagen und sein Blut zudecken? Kommt verkaufen wir ihn den Ismaelitern.

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Dies ist der erste Zeitpunkt in der biblischen Geschichte, an dem sich die Wege der zwei Linien Abrahams zum ersten Mal kreuzten nach dem großen Begräbnis des Stammvaters vieler Völker, viele Jahre zurück: Ismaels Kinder begegnen den Kindern Isaaks/Israels. Josef wird in der Folge aus der Grube, in der er direkt mit seinem Tod konfrontiert war, befreit für die Sklaverei in Ägypten. Er wird für 20 Silber-Stücke verkauft. Dort im Land, das ein Sinnbild für Sklaverei schlechthin werden sollte (aber das ist eine andere Geschichte und doch die selbe Geschichte zugleich), dort in Ägypten steigt er auf der Leiter des Erfolgs auf in schwindelnde Höhen: vom Sklaven zum Zweiten Mann des ganzen Riesen-Reiches, nur unter dem Pharao selbst, ein Mann auf einem von Pferden gezogenen Wagen. Ein „kleiner“ Umweg inklusive, also kein schwindel-erregendes Tempo: Über das Gefängnis, indem er wieder träumt, und wie man schon vermuten konnte, zweimal, was ihn schließlich aus dieser Todes-Zone befreit. Er wird zum Pharao gerufen, als dieser geplagt wird von zwei schlimmsten Alb-Träumen, die doch ganz konkret sind und das Schicksal seines ganzen Landes in Frage stellen. Aus Leid-voller als auch durch erfreuliche Erfahrung, gestählt im Umgang mit Träumen, kann nun ein reifer Josef dem Pharao die Bedeutung von dessen sonderbaren Träumen geben und obendrein sogar eine ganz praktische Gebrauchsanleitung hinterher. Der lebensbringende Strom für Ägypten, der Nil, der die Hochkultur Ägyptens erst möglich gemacht hat, wird mit Hilfe von Traum und Tat, der Lebensbringer für die ganze damalige Welt: Ende gut, alles gut. Und noch ein zweites Gutes hat die Hungers-Not: Die Versöhnung der Brüder, die Versöhnung der Söhne Jakobs und die Wiedervereinigung von Vater und Sohn Josef. Man beachte wieder die Übereinstimmung der Worte, die Genesis 45: 13-15 (Brüder) und Genesis 46: 29 (Vater und Sohn) wählt, mit der Versöhnung von Jakob und Esau einige Kapitel vorher und in dem Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ im Lukas-Evangelium. Die Josefs-Geschichte gipfelt in den berühmten Worten, die er in Genesis 50: 20 am Ende seines Lebens zu seinen Brüdern spricht: Ihr habt Böses gegen mich im Sinne gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn, um zu erreichen, was heute geschieht: Viel Volk am Leben zu erhalten.

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Fazit: Josef gilt im Christentum als Proto-Typ für den Messias Jesus, den Erwählten schlechthin, die Mutter aller Erwählten, um im Bild des Buchtitels und im Orient zu bleiben. Leider müssen wir hier eine kleine Kurve kratzen. Denn etwas passt überhaupt nicht in dieses Bild vom Messias. Wieso verpetzt der doch mit 17 Jahren nicht mehr unschuldig kleine Josef seine Brüder beim Vater? Nur so ein Vorschlag für Jonglier-Übungen im Handstand. Es geht um den blinden Fleck, nicht um ein Blinde-Kuh-Spiel.

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Zurück in die Spur der Josefsgeschichte, wer sich dies schon wieder zutraut, versprochen es wird nicht langweiliger werden beim Mit-Wandern unter der Sonne der Mutter aller Zwillings-Landen. Die Josefs-Geschichte weist insgesamt genau Drei dieser Erlöser auf, drei „Vor-Schattungen“ auf Christus: Ruben, Juda und die Ismaeliter. Drei aus gutem Grund:

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Ruben versinnbildlicht den Erstgeborenen schlechthin, das Bild des Zwilling-Bruders bei der Geburt, der den Nachgeborenen den Weg aus dem Gefängnis des Mutterleibes in die Freiheit und in das Licht des Tages zum Vater bahnt.

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Juda steht als Bild für Errettung vor dem Tod durch die Bedeckung des Blutes. Also für die Art und Weise, wie im Opferdienst des Alten Bundes im Volk Israel Sündenvergebung erfolgte. Damit steht er gleichzeitig für das traditionelle Verständnis des Kreuzes von Golgatha im Christentum, das stellvertretende Opfer durch das Lamm Gottes, Jesus. Deshalb ist der auf Erden geborene Jesus aus dem Stamme Juda und dem Geschlecht Davids.

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Und die Ismaeliter? Sie sind irritiert? Verstehen wir, ein Stolperstein, bei dem man sich gerne den großen Zeh verstaucht und hinkend weitersucht. Ein doppelter Stein des Anstoßes: Ein ganzes Volk, das zudem im nächsten Satz zu Midianitern mutiert, Kaufleuten zu mal. Diese Ismaeliter haben jetzt schon mehrfach unseren Weg gekreuzt.

Über die Kinder Ismaels

Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn! Allen seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht.                                                                                                                                                                                           Genesis 16: 12

 

Diese Prophezeiung an Ismaels Mutter Hagar durch den Engel des Herrn wird von diesen Worten eingeleitet: Du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismael  (Gott hört) nennen; denn der Herr hat auf dich gehört in deinem Leid. Erinnert diese Formulierung nicht an die Worte des Engels Gabriel in Lukas 1, mit der Maria die Geburt von Jesus angekündigt wird? Trotzdem ist Ismael mit samt seiner Nachkommenschaft von genau zwölf Fürsten nicht im Blickwinkel des genuinen Bibellesers. Er erscheint wie ein „verlorener“ Sohn Abrahams. Höchste Zeit, sich ihm und den Ismaelitern wieder zu widmen.

 

Die Geschichte der Beduinen Arabiens liegt in grauer Vorzeit. Im Alten Orient, etwa 1200 Jahre vor Christus, in der Eisenzeit, gab es große Umbrüche bis hin zum Zusammenbruch ganzer Staaten. Das führte zu einer Neuorganisation und in diesem Zusammenhang auch zur Entwicklung des Lebensstils der Vollnomaden und dem Erscheinen der Araber. Ein uns auch heute überforderndes Phänomen ging damit einher: Eine Flüchtlingskrise bisher ungeahnten Ausmaßes. Die Domestikation des einhöckrigen Dromedars eröffnete für diese Vertriebenen die Eroberung der Wüste. Um es kurz zu machen: Es entwickelte sich dort eine bis in das 20. Jahrhundert reichende Nomaden-Kultur, die nur aufgrund des Prinzips der Solidarität unter den widrigen Umständen der Arabischen Halbinsel überleben konnte. Gleichzeitig bedeutete sie die viel besungene Freiheit der Wüste und ihrer darin herum schweifenden Bewohner. Und das Lebens-Motto der Wüstenbewohner: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

 

Eine ganz neuartige Zivilisation war entstanden, ein faszinierender Kosmos von Solidarität, Männlichkeit, Einfachheit und Gastfreiheit in einer der lebensfeindlichsten Regionen der Erde. Die Beduinengesellschaft basierte auf Solidarität, nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Tier. Ja, in der Tat. Denn es gab ein „Triumvirat“ zwischen Dromedar, Mensch und Pferd. In dieser Reihenfolge. Denn das Dromedar war die Basis, die Voraussetzung dafür, in der Wüste zu überleben. Kein Wunder, dass es zum wichtigsten Besitz der Beduinen mutierte, das sie mit Klauen und Zähnen auf den vier Hufen ihrer Pferde verteidigten, doch so, dass sie jedes Blutvergießen vermieden. Denn Blutrache musste und wollte man unbedingt vermeiden. Das Wüstenleben war ohnehin schon schwer genug. Es konnte nur gemeistert werden, indem der Mensch zum Parasit des Kamels wurde, so die einstimmige Meinung der Wissenschaft. Für die Beduinen nahm das Dromedar die Rolle der Mutter ein, so nannten sie es in ihrer blumenreichen Bilder-Sprache. Und auf ihren Raubzügen oder im Krieg bezeugten sie dies mittels ihrer Kriegsrufe. Der größte und kriegerischste  Stamm unter ihnen, die Rwala, verkündeten mit ihm ihre uneingeschränkte Solidarität mit ihren Kamelen lautstark in den Wüstenhimmel hinaus: Ana achu Kutne! Ich bin der Bruder von Kutne. Kutne, ein Frauenname, steht hier für ihre Kamelherden. Bruderschaft der Beduinenkämpfer mit ihren Tieren!

 

Und wenn wir schon beim Wettkampf sind, da gab es noch das Pferd, das in gleich zwei heiligen Büchern (Altes Testament und Koran) auf fast identische Weise besungen wird als Mutter aller Kriegspferde. Kein Wunder, dass der Beduine Arabiens in seiner Abgeschiedenheit seinem Pferd mit inniger Liebe verbunden war. Es wurde sein Kamerad und Freund, verehrt von seinen großen Dichtern. In Gedichten, in dem er sich selbst und seine Männlichkeit wie verschleiert mittels Bildern seines Pferdes mit Edelsteinen aus Worten schmückte. Die Bedeutung dieser Art der Beschreibung der Wirklichkeit für das Verständnis der Bibel haben wir bereits mehrfach in diesem Buch betont. Gleichzeitig hatte sein bester Freund aus dem Tierreich Zutritts-Recht im Haus des Beduinen, dem schwarzen Zelt. So entstand nicht nur die härteste, sondern auch die für viele Menschen auf dem ganzen Erdball schönste und klügste Pferdrasse überhaupt. Die Rolle bei der kriegerischen Ausbreitung des Islam ist unbestritten. Kein Wunder, dass die arabische Tradition ganz eng verwoben ist mit den Pferden ihrer Väter, allen voran mit Ismael, ihrem Stammvater, aber auch mit König Salomo. Ismael war der erste Mensch, der es zähmte, allein mit seiner Stimme, die er auf Gottes Geheiß über die ganze Wüste erhob, so dass alle Pferde ohne jede Ausnahme dieser Stimme folgten. Salomo schenkte der Eskorte der  Königin von Saba, die manche Geschichtenerzähler als seine Braut verehren, ein besonderes Geschenk mit auf den Weg nach Haus: einen Schimmelhengst. Er taufte ihn auf den Namen „Zad el Rakeeb“, „Die Wegzehrung des Reisenden“, und er wurde der Stamm-Vater aller Beutepferde der Araber.

 

In der Ödnis der Wüsten Arabiens sind wahre Schätze zu finden in der Lebensweise und Kultur der Beduinen, die weit über das hier Gesagte hinaus gehen. Die perfekte Blaupause für innovative Ideen zur Klima-Rettung unserer Tage, vom Thronfolger des Königs und Dieners der beiden Heiligen Stätten in Saudi Arabien bereits als Zukunfts-Vision ins Visier genommen. Die Arabische Welt hat sich aufgemacht, das Flagg-Schiff unseres Planeten zu werden. Wir dürfen gespannt sein.

 

Der Beduine sah seine Heimat mit den Augen eines Kindes. Seine Familie lebte unter dem Baldachin seines Hauses, genannt „bait“, aus schwarzen Ziegenhaaren gewebt.  Das „Land der schwarzen Zelte“ wurde überspannt vom schwarzen Zelt Gottes, dem nächtlichen Firmament, an dem die Sterne wie Perlen funkelten. Unter diesem großen Zeltdach hatten alle Erdenbürger ein einziges Mutterland, versinnbildlicht in der sprichwörtlichen Gastfreiheit, die selbst der ärgste Feind ohne Furcht genießen durfte. Genau so lange wie dargereichte Speis und Trank in seinem Bauche blieben, genau zwei, ja fast drei Tage, wie bei zwei Männern der Bibel im Bauch des Fisches (Jona) oder des Grabes (Jesus). Das Zelt der Nomaden war in jeder Hinsicht flexibel. Es dient auch im Alten Testament als Vorbild für eine Aufforderung Gottes an Israel: Mach den Raum deines Zeltes weit, spann deine Zelttücher aus, ohne zu sparen. Mach die Stricke lang und die Pflöcke fest. Und die Beduinen taten das fleißig, tagein, tagaus. Beim Aufbauen und Abbauen des Lagers, wenn es hieß anzuhalten, oder weiter zu ziehen. Ein kleiner Einblick in diese fremde Welt von einer der letzten Augenzeugen, Gertrude Bell.  Tagebucheintrag von ihrer Expedition in den sagenumwobenen Nejd, das Herz von Arabien:

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Gott ist barmherzig, wir haben die Nefud geschafft. Der Tag nach dem Regen - oh der gute Geruch des nassen Sandes und das Zwitschern der kleinen Vögel erfreuten das Herz! Am Nachmittag erreichten wir die Zelte der Shammar und schlugen unser Lager nicht weit entfernt von ihnen auf. Ihr alter Scheich, Mhailam, besuchte uns und brachte eine Ziege und etwas Butter. Wir brachten ihn dazu, mit uns als rafiq zu kommen. Er ist alt und mager, grauhaarig und zahnlos, und zerlumpt jenseits jeder Vorstellungskraft, er hat nicht einmal eine ´agal um sein Kopftuch zu halten. Wir haben ihm ein Stück Schnur gegeben. Aber er ist ein exzellenter rafiq - habe noch keinen besseren gehabt. Er kennt die Gegend, und er ist begierig, uns gut zu dienen. Am nächsten Tag ritten wir über Sand zum nördlichen Punkt des Jebel Mismah´. Dort bestürmte mich Mhailam, das Lager aufzuschlagen, sagte, dass es in der jellad, der flachen Ebene dahinter, keine Weide gäbe; und Muhammad al-Ma´rawi unterstütze ihn darin, da er befürchtete, wir könnten in die Hände von Hetaim Räubern fallen, wenn wir die Nefud verließen. Doch ich blieb fest. Räuber und Hunger waren nichts gegenüber der Aussicht auf einen festen, geraden Weg. Denn du musst verstehen, dass das Reisen in der Nefud wie das Reisen in einem Labyrinth ist. Eine Ewigkeit zieht man entlang einer hufeisenförmigen Sandgrube, die vielleicht eine halbe Meile breit ist, um dann den gegenüberliegenden Abhang zu erklimmen und zum nächsten Hufeisen zu gelangen. Wenn wir in gerader Linie eine Meile die Stunde schafften, dann war es viel. Selbst als ich das Ultimatum gestellt hatte, drifteten meine zwei alten Genossen immer wieder ab in die Nefud hinein und ich musste ein wachsames Auge auf sie haben und sie jede halbe Stunde wieder einsammeln. Es war bitter kalt; die Temperatur fiel auf 27 ° (F, ca. -3 ° C) in der Nacht und es wehte ein stürmischer Nordwind. Und so kamen wir zum letzten Sandhügel und ich blickte hinab zwischen den schwarzen Felsen von Misma´ und sah Nejd. In ihrer Trostlosigkeit erschreckt diese Landschaft. Misma´ fällt im Osten in abgrundtiefe Sandsteinformationen ab, verwittert zu einem rostigen Schwarz, zu ihren Füßen sind endlose Kompanien von sich übereinander türmenden Sandsteinspitzen versammelt, ebenfalls schwarz.  Sie sehen aus wie ein Skelett einer riesigen Stadt, die auf einem Boden aus Sandstein und Sand steht. Und dahinter endlose lebensfeindliche Ebenen, aus denen weitere Klippen aus Sandsteinbergen ohne Übergang ragen. Über all dem peitschte der bitterkalte Wind Wolkenschatten hinweg. „Subhan Allah!“ sagte einer der Damaszener, „wir sind nach jehannum gekommen.“ Dort hinunter ging es und wir kampierten am Rand der Nefud bei ausreichender Weide. Und heute schien die Sonne und die Welt lächelte und wir marschierten fröhlich weiter und fanden schließlich den Boden der Hölle einen angenehmen Ort. Denn der Regen hatte die Sandsteinbecken mit klarem Wasser gefüllt, und Weide gab es in Überfluss, und das Wandern über den ebenen, steinigen Boden war mehr, als das Herz begehrte. Am Nachmittag passierten wir die Felsen von Jebel Habran. Aus dem sandigen Grund ragten zu beiden Seiten schwarze Felsspitzen empor. Wir schlugen unser Lager im Osten auf, in einer Felsbucht mit khabras von Regenwasser und Weide überall um uns herum im Sand. Etwa eine Meile entfernt haben wir als Nachbarn eine kleine ferij von Zelten der Shammar, und falls uns jemand übel gesinnt sein und davon träumen sollte, uns ein Kamel zu stehlen, ist Mhailam eben jetzt in die Nacht hinausgetreten und hat gerufen: „Ho! An alle die zuhören! Kommt herein zum Abendessen! Ich bin Mhailam, Mhailam ibn Hamad! Alle die hungrig sind, kommt und esst!“ Und weil er so das Universum zu unserer Schüssel eingeladen hat, schlafen wir mit Sicherheit in Frieden.“                            

 Gertrude Bell, 20. Februar 1914

 

Eine Beschreibung, die uns zurückversetzt in die Tage Abrahams und seiner Söhne. Was ist nun eine aqal/iqal? Sie ist mehr als nur eine Schnur um das bekannte Kopftuch der Araber zu halten. Sie symbolisiert in der Tradition der Wüste die Fessel für den Kopf eines Menschen, was man als eine ganzheitliche Beherrschung aller Gedanken in einem vollkommen positiven Sinn verstand. Beherrschung wie im Sinn von: eine Sprache beherrschen, ihrer mächtig zu sein. Oder ein Pferd beherrschen, mit ihm durch dick und dünn in den Kampf oder zum Raubzug reiten.

 

Jetzt verseht man das anfangs eingeführte Motto dieser Buch-Reise in die Vergangenheit, die Gegenwart bis hin in die Zukunft: Von der Dornenkrone über die Aqal der Wüste zur Krone des Lebens. Mit Hilfe der Kultur der Beduinen, der Ismaeliter, erweitert und erhellt sich uns der Horizont der Bibel. So sind wir zu neuen Perspektiven auf die Welt, den Menschen und auf Gott vorgedrungen. Höchst aktuell angesichts der Zeichen der Zeit, die alle auf Weltuntergang stehen, sei es die Klimakatastrophe, die  Umweltverschmutzung, oder das Pulverfass Nahost. Eine tickende Zeitbombe für einen dritten Weltkrieg? Oder verheißen die zarten Anfänge einer friedlichen Annäherung in den Abrahams Accords und hinter den Kulissen der Politik eine Wende zum Guten? Schauen wir ins letzte Buch der Bibel und in die Träume.

 

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